Ist Melatonin das neue Vitamin D? Fragen sich Fachleute angesichts der neuen Erkenntnisse der Forschung. Das wäre nicht schlecht, denn auch Vitamin D hat weit mehr auf dem Kasten, als man ursprünglich annahm. Die beiden ähneln sich tatsächlich, sind als biochemische Sensoren aktiv, wobei Melatonin für die Bedürfnisse des Nachtlebens zuständig ist.
Was ist Melatonin?
Melatonin ist ein Hormon, das unter anderem in der Zirbeldrüse im Gehirn produziert wird, wenn man sie nicht daran hindert. Tageslicht, genauer das blaue Licht des Sonnenspektrums, hemmt die Melatoninsynthese. Wenn es dunkel wird, fällt diese Hemmung weg und der Melatoninspiegel steigt an.
Melatonin ist an der Regulation des zirkadianen Rhythmus beteiligt. Man kennt es deswegen auch als Schlafhormon. Aber damit unterschlägt man einen anscheinend einen Großteil seines Könnens, denn die aktuelle Forschung hat noch viel mehr physiologische Effekte von Melatonin zu Tage gefördert.
Wo kommt es her?
Melatonin wird in der Zirbeldrüse als Reaktion auf die Dunkelheit der Nacht gebildet. Genauer gesagt das Wegbleiben des (blauen) Tageslichts. Melatonin kommt neben der Zirbeldrüse in vielen Geweben vor. Die Darmschleimhaut bildet große Mengen davon. Außerdem findet man es in Gehirn, Retina und Linse des Auges, Cochlea des Innenohrs, Luftröhre, Haut, Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse, Milz, Thymus, Schilddrüse und Fortpflanzungsorganen. Es ist in fast allen Körperflüssigkeiten enthalten.
Melatonin ist ein Hormon, das eng mit Serotonin, dem Glückshormon, verwandt ist. Beide werden aus der essentiellen Aminosäure Tryptophan hergestellt. Tatsächlich ist Serotonin ein Zwischenprodukt der Melatoninsynthese.
Im Detail läuft das so ab, das Tryptophan zunächst hydroxyliert wird indem eine OH- Gruppe angehängt wird. Anschließend wird das Hydroxytryptophan decarboxyliert zu Hydroxytryptamin, das auch als Serotonin bekannt ist. Dem werden noch zunächst ein Essigsäurerest und anschließend eine Methylgruppe ( -CH3 ) angeheftet.
Die Synthese von Melatonin findet in den Mitochondrien statt. Die sind besser als Kraftwerke der Zelle bekannt, leisten aber weit mehr als nur die Bereitstellung von ATP als energetische Währung aller Zellen. Das mitochondriale Melatonin stellt einen großen Pool dar, der allerdings keinen tageszeitlichen Schwankungen unterliegt. Es erfüllt dort anscheinend in erster Linie seine ursprüngliche Funktion als sehr wirksames Antioxidans. Und Antoxidantien sind sehr nützliche Metabolite, wie man an den vielen klinischen Anwendungen sehen kann.
Klinische Anwendungen
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Tag-Nacht-Rhythmus
Im zentralen Nervensystem wirkt Melatonin modulierend auf den Tag-Nacht-Rhythmus. Melatonin ist ein Chronobiotikum, dass die Schlafphasen in beide Richtungen verschieben kann. Das hängt davon ab, wann das Hormonsupplement eingenommen wird. Das kann die zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse der einschlägigen Studien erklären.
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Demenz
Bei Alzheimer Demenz kann Melatonin den Schlaf und die Reizübertragung zwischen Nervenzellen verbessern. Auch die abendliche Unruhe, die oft mit Alzheimer Erkrankungen einhergeht.
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Migräne und Kopfschmerzen
Ein Mangel an Melatonin ist möglicherweise an der Entstehung von Migräne beteiligt.
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Tinnitus
Melatonin wurde erfolgreich zur Behandlung von Tinnitus eingesetzt
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ADHS und Autismus
Bei Aufmerksamkeitsstörungen hat Melatonin womöglich einen weitreichenden und tiefgreifenden Einfluss. E sgibt Hinweise, dass bei ADHD die melatoninabhängige Signalübertragung beeinträchtigt ist.
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Herz-Kreislauf Gesundheit
Melatonin kann den Blutdruck und das LDL Cholesterin senken. Außerdem hemmt es die Aggregation der Thrombozyten im Blut, wirkt also blutverdünnend. Der Catecholamoinspiegel im Blut sinkt unter dem Einfluss des Hormons . Zur Familie der Catecholamine gehört unter anderem das Stresshormon Adrenalin.
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Reproduktive Gesundheit
Zwischen den Geschlechtshormonen und Melatonin besteht eine gegenseitige Wechselwirkung. Wahrscheinlich wird die Menopause deshalb von Schlafstörungen begleitet.
Während einer Schwangerschaft besteht ein erhöhter Bedarf an Sauerstoff und der wiederum produziert vermehrt freie Radikale. Da hilft ein effektiver Radikalfänger sehr.
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Verdauungstrakt
Der Gastrointestinaltrakt produziert große Mengen des Hormons, sofern ihm das Ausgangssubstrat, die essentielle Aminosäure Tryptophan zur Verfügung steht. Für die Synthese sind die enterochromaffinen Zellen des Darmepithels verantwortlich. Möglicherweise tragen auch die Darmbakterien dazu bei.
Der Verdauungstrakt beginnt im Mund. Und tatsächlich verzeichnet Melatonin im Bereich der Mundpflege, bei Zahnfleischentzündungen oder operativen Eingriffen in der Mundhöhle ordentliche Erfolge.
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Antioxidative Eigenschaften
Bei Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose kann Melatonin eventuell aufgrund seiner entzündungshemmenden Eigenschaften hilfreich sein. Es reduziert oxidativen Stress und die Freisetzung entzündungsfördernder Zytokine. Diese Eigenschaften machen sich auch Athleten zu Nutze. Sie sind auch hohen oxidativen Belastungen ausgesetzt.
Soll man nun Melatonin einnehmen?
Jetzt kommen leider schon die Nachteile dieser vielversprechenden Liste. Bei vielen Studien wurden sehr hohe, sogenannte pharmazeutische Dosen von Melatonin eingesetzt. Sie liegen im Bereich von mehreren Milligramm. Bei der Dosierung können Forschende aber auf keinen nennenswerten Erfahrungsschatz zurückgreifen. Die letale Dosis ist nicht bekannt. Auch nicht, ob bei dauerhafter Einnahme langfristige Folgen auftreten.
Nahrungsergänzungsmittel enthalten oft synthetisches Melatonin aus dem Labor. Das ist weit weniger wirksam als natürliches, aus Pflanzen gewonnenes. Das liegt eventuell an Verunreinigungen der Laborprodukte mit negativen Eigenschaften wie auch Verunreinigungen der Pflanzenextrakte mit positiven Begleitstoffen.
Die Wirksamkeit ist sehr unterschiedlich. Phytomelatonin aus natürlichen, pflanzlichen Quellen wirkt bei verschiedenen Indikationen deutlichbesser als synthetisches aus dem Labor. Beispielsweise ist der schmerzstillende Effekt 6x, die antioxidative Aktivität 2,5 – 5x höher als beim synthetischen Zwilling.
Gute Quellen für Melatonin
Wer glaubt, dass Melatonin immer aus unseren Zirbeldrüsen stammt, irrt. Melatonin ist ein ubiquitäres Molekül, das in allen Bereichen der Natur vorkommt, egal ob Bakterie, Archäe (sowas ähnliches wie Bakterien), oder Eukaryont (Organismen mit echtem Zellkern, zum Beispiel wir).
Demnach muss es sich auch um ein stammesgeschichtlich altes Molekül halten. Vermutlich stand ursprünglich die antioxidative Aktivität im Vordergrund. Der Nebenjob als Schlafhormon kam dann später dazu.
Pflanzen sind eine bessere Quelle für Melatonin als Tiere. Pflanzen können selbst die Vorstufe Tryptophan herstellen und sind damit auf keine exogenen Quellen angewiesen. Innerhalb der Pflanzen ist der Melatoningehalt in Samen und reproduktiven Organen (also Blüten) am höchsten.
Der Melatoningehalt pflanzlicher Lebensmittel ist allerdings von Wachstumsbedingungen, Ernte und Verarbeitung abhängig und kann erheblich schwanken.
Man muss nicht unbedingt Melatonin aufnehmen, und die Versorgung zu verbessern. Auch die Vorstufe Tryptophan aus pflanzlichen oder tierischen Quellen ist nützlich, denn daraus kann der Körper das Hormon herstellen. Manche Menschen haben aber generell Probleme mit dem Enzym, das den letzten Syntheseschritt katalysiert. Das beruht auf einer genetischen Veränderung und wird mit verschiedenen Krankheitsbildern in Verbindung gebracht.
Nicht zuletzt ist unser eigener Darm eine gute Quelle für Melatonin. Die Darmbakterien können es synthetisieren und auch die enterochromaffinen Zellen der Darmschleimhaut. Sie reagieren nach dem Essen mit einer enormen Steigerung der Melatoninproduktion. Ob die beiden Produktionsorte, Darm und Zirbeldrüse, aber miteinander in Verbindung stehen, ist noch nicht sicher.
Nicht zuletzt bleibt dann nur noch die eigene Zirbeldrüse, die nachts, wenn die Hemmung durch blaues Tageslicht entfällt, die Synthese anregt und das Hormon großzügig in die verschiedenen Körperflüssigkeiten abgibt.
Melatonin als Nahrungsergänzung
Nachdem immer mehr positive Auswirkungen bekannt werden, steigt die Beliebtheit von Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel. Immer mehr Menschen nehmen Melatonin in immer höherer Dosierung ein. Mehr als 5mg sind nicht selten. Aber niemand weiß, ob die langfristige Einnahme solch hoher Dosen zu Nebenwirkungen führt.
Melatoninhaltige Nahrungsergänzungsmittel im Einzelhandel enthalten bis zu 200 mg, manchmal auch nur 0,3 mg. Das klingt jetzt gefährlich, aber eine tödliche Dosis für Melatonin hat bisher niemand bestimmt. Allerdings kann eine zu hohe Dosierung oder zu lange Einnahme Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit und eine Art „Kater“ hervorrufen. Manche Fachleute fürchten auch, dass durch die Einnahme die körpereigene Synthese heruntergefahren wird, so dass eine Art Abhängigkeit entsteht.
Der Mensch produziert täglich 0,1 – 0,9 mg Melatonin. In den Studien, die allerdings zeitlich begrenzt sind, werden oft viel höhere Dosen eingesetzt, ohne dass es dafür einen triftigen Grund gibt. Vergleichende Studien zur optimalen Dosierung ergaben jedenfalls, dass man mit 0,3 mg pro Tag gute Ergebnisse erzielen kann.
Natürlich ist auch das Timing wichtig. Die Einnahme 30 bis 60 Minuten vor dem Schlafengehen wird oft empfohlen. Studien zeigen, dass die Spanne auf bis zu vier Stunden erweitert werden kann. Es macht sich aber immer gut, wenn Melatonin zusammen mit Dunkelheit eingenommen wird. Man sollte also auf blaues Licht aus Monitoren verzichten.
Quelle:
Minich, Deanna M et al. “Is Melatonin the „Next Vitamin D“?: A Review of Emerging Science, Clinical Uses, Safety, and Dietary Supplements.” Nutrients vol. 14,19 3934. 22 Sep. 2022, doi:10.3390/nu14193934
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